Warten auf Godot
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In der Übersetzung aus dem Französischen von Elmar Tophoven, 1953
(Revidierte Fassung von Erika Tophoven, 1993)
ESTRAGONWas sollen wir jetzt machen, da wir glücklich sind?
WLADIMIRWir warten auf Godot.
ESTRAGONAch ja …
Warten auf Godot – geschrieben im Schatten des großen Krieges, in Zeiten der Rat- und Mutlosigkeit. Vergangenheit?
Mehr denn je warten die Menschen heute, in dieser schwarzen, unruhigen Zeit, auf Rettung, auf die Erlösung von der großen Angst vor Kriegen, Seuchen, Zerstörung, dem fortschreitenden Weltuntergang, der Apokalypse.
Und wir? Sind wir nicht alle wie "Wladimir" und "Estragon", traurige Clowns, Wartende, Spielende, am Rande der Landstraße, gelandet im Nirgendwo? Zeitgenossen und Zauberkünstler zugleich. Der Weg ist das Ziel, die Fantasie weist den Weg. Und die Liebe. Dann geht es wieder weiter und weiter.
Ein Ringelspiel, Fallen, Aufstehen, neu beginnen –
Und "Godot" – ist er tatsächlich der lang ersehnte Erlöser? Oder ist es der rätselhafte "Pozzo", unterwegs – wohin? – mit seinem unglücklichen Diener, der dazu auch noch "Lucky" heißt? Erlösung oder böse Verspottung?
Wir warten, lachen und weinen mit ihnen, in der Hoffnung auf unseren "Godot" – oder ist er längst gekommen?
Nach Bernhards Der deutsche Mittagstisch und Ionescos Der König stirbt in den Kammerspielen inszeniert Claus Peymann zum dritten Mal in seiner neuen "Heimat", dem Theater in der Josefstadt.
Pressestimmen
Peymann, so scheint es, fühlt sich hier pudelwohl. Sein "Godot" ist ein "Godot" der verstoßenen Weißclowns, die wie kleine Vögel aus einem namenlosen Zirkusnest gefallen sind, verzweifelte Spaßmacher, die von ihren alten Späßen nicht lassen können, weil sie ahnen, dass Besseres als das, was sie verloren haben, in dieser Welt auf sie nicht wartet. Denn es wartet überhaupt nichts auf sie. Peymann bleibt nah am behutsam gekürzten Text, lauscht auf Becketts Nuancen und die schrägen Melodien von Widerspruch und Wiederholung. Er folgt dem Spiel von Anziehung und Abstoßung, Zärtlichkeit und Gewalt zwischen den beiden Landstreichern und arbeitet die Kinderfragen und Kinderängste heraus, die das Stück durchziehen. Und zugleich horcht er jenen Ängsten nach, die Kinder noch nicht kennen, den Erwachsenenängsten vor Alter, Krankheit, Tod. Peymanns Godot ist Handarbeit. Es hat etwas Unerschütterliches, unerschütterlich in seinem Vertrauen auf den Text, auf die Zeitlosigkeit der darin verhandelten existentiellen Fragen, unerschütterlich in seinem Glauben an die schütteren Kräfte des Theaters in schmerzversehrter Zeit und unerschütterlich in seinem Glauben an die Schauspieler und ihre Kunst. Bernhard Schir als Wladimir und Marcus Bluhm als Estragon sind ein eingespieltes Duo wie aus Stummfilmtagen: mit Hütchen, Binder, Kappe und Hosenträgern. Bluhm, kindlich, impulsiv, aufbrausend und ängstlich in sich zusammensinkend, trägt eine Arbeiterweste über dem nackten Oberkörper, Schirs Wladimir, der mehr auf Ordnung in kleinen Dingen hält, steckt in einem grotesk verschossen Anzug.
Es sind treuherzige, dann wieder verschlagene Gesellen. Es ist – wie so oft bei Peymann – ein derbes Wechselspiel von zarten Gesten und plumpen Signalen, etwa wenn Wladimir sich erst an den Rücken des schlafenden Estragon schmiegt, Hubschraubergeräusche von Krieg und Gewalt künden soll oder Wladimir in eine Hitler-Parodie verfällt, aus der er nur mühsam wieder herausfindet. Dann kommt Lucky. Am ganzen Körper weißgeschminkt. Sehnig, gebeugt, geschunden. Eine unterjochte Kreatur, Hegels Knecht, aber auch Kafkas brutal aus der Akademie gejagter Rotpeter. Der junge Nico Dorigatti, Jahrgang 2001, macht ein rundes Schimpansenmaul, wenn er tonlos lacht, und schräge Schakalsaugen, wenn er seinen Unterdrücker hasserfüllt ansieht. Stefan Jürgens als Pozzo ist ein von Kopf bis Fuß in Rot gehüllter Zirkusdirektor, ein Menschendompteur, der mit Strick und Peitsche arbeitet und mit Spaß bei der Sache ist. Wenn er Lucky "denken lässt", entfesselt er einen Sturm im Sklavenhirn, dem sogar die Seitenwände zum Opfer fallen: Dorigatti, im Furor seines befreiten Bewusstseins auf Zeit, reißt sie einfach ein, bevor er zusammenbricht.
(FAZ)
Das Leben - ein Spiel: Realistisch ist hier nichts, bloß das Papier, mit dem die Fassaden bespannt sind, und die von Lucky in einem furiosen Auftritt zerrissen werden. Nico Dorigatti, 22-jähriger Reinhardt-Seminarist aus Wiener Neustadt, macht aus der kleinen Rolle etwas Großes, ein Monument menschlichen Leids, eine alabasterfarbene Statue, die zur Sprechmaschine wird und dafür zu Recht den einzigen Szenenapplaus des Abends erhält. Mit dem Pozzo des Stefan Jürgens bildet er ein kongeniales Paar, das dem parabelhaften Herr-Knecht-Verhältnis unterhaltsame wie bedrückende Seiten abgewinnt: Ein rot gekleideter Zirkusdirektor mit seiner Ein-Mann-Menagerie auf Durchreise.
Und die beiden Hauptrollen, Wladimir und Estragon? Peymann lässt Bernhard Schir und Marcus Bluhm zunächst ganz in der Tradition ihrer Rollen agieren - ein trauriger Clown, ganz an die Tramp-Darstellungen von Charlie Chaplin erinnernd, und sein weinerlicher Kompagnon, in tragikomischer, unauflöslicher Verbindung aneinander geschmiedet. Man schließt sie ins Herz.
(APA)
Claus Peymanns Inszenierung ist ein ungewöhnliches Weihnachtsmärchen. Bluhm und Schir sind ein präzise aufeinander eingespieltes Duo, eine Mischung aus Dick und Doof, traurigen Weißclowns und mal einfältigen, mal abgebrühten Landstreichern. Die obligatorische schwarze Melone auf dem Kopf darf dabei nicht fehlen. Zwischen Slapstick und Fäkalhumor blitzt abgrundtiefe existenzielle Verzweiflung hervor, die beiden machen das souverän und unterhaltsam. Und dann Pozzo (Stefan Jürgens von Kopf bis Fuß in königlichem Rot, mit der Faszination der Macht) und Lucky (halbnackt und kalkweiß: Nico Dorigatti). Letzterem gelingt dann auch der wohl herausragendste Moment des Abends, der ihm begeisterten Szenenapplaus einbringt: Auf Pozzos Befehl, doch "laut zu denken", wird der zuvor trotz seiner deutlich sichtbaren Muskeln willen- und kraftlos wirkende Lucky plötzlich völlig klar, hält einen nichtsdestoweniger wirren Monolog und rennt wie von Sinnen auf der Bühne hin und her, dabei das weiße Papier von den Wänden zerrend. Es ist ein starker, trauriger Moment, wenn es Estragon und Wladimir schließlich gelingt, Lucky wieder zu bändigen und sein Herr Pozzo ihn, den für kurze Zeit unbändigen Geist, buchstäblich wieder an die Leine nimmt. Ein unterhaltsames, schauspielerisch definitiv sehenswertes Spiel.
(nachtkritik.de)
An der Deutung des Werks sind Theologen, Philosophen, Politologen gescheitert. Dabei kennzeichnet es das Absurde Theater, dass es Fragen und Antworten in die Köpfe des Publikums verfrachtet. Hier setzt Peymann mit seiner fulminanten Arbeit ein: Die Vagabunden Wladimir und Estragon warten worauf? Auf alles, worauf wir warten. Der Ausbeuter Pozzo (Stefan Jürgens) und sein Sklave (Nico Dorigatti glückt eine im Elend wie im Aufstand verstörend virtuose Kunstfigur) spielen den beiden Vogelfreien die realen gesellschaftlichen Verhältnisse vor. Paul Lerchbaumers minimalistische, am Surrealisten Chirico orientierte Bühne ist der ideale Ort für die verzaubernde Clownerie, zu der sich Berhard Schir und Marcus Bluhm aufschwingen. Das Warten auf Godot hat sich gelohnt.
(Kronen Zeitung)
Patina und viel Weißclownstaub tragen indes die Figuren am Leib. Wladimir (Bernhard Schir) und Estragon (Marcus Bluhm) erscheinen in Reminiszenz an die von Beckett bewunderte Komik eines Charles Chaplin oder Buster Keaton als expressionistisches Tramp-Duo, als Underdogs, denen nichts geblieben ist als ihre eigenen Manieren. Mit traumwandlerischer Sicherheit in seinen Blicken und pantomimischen Gesten ficht Schirs Wladimir die vielen kleinen Streitigkeiten mit seinem Freund aus. Eine Freundschaft, zusammengekittet aus Liebe und Hass und Abhängigkeit wie eine alte Ehe.
Man schaut ihnen gern zu, wie sie mit Vorhaltungen ihrer ramponierten Körperhygiene wegen (schmutzige Füße, Mundgeruch) die Zeit totzuschlagen versuchen. Und wie rasch sie vom unerbittlichen Wutanfall flugs in süße Tonlagen wechseln, weil sie auf diesem einsamen Planeten (und sei er auch nur geträumt) ohneeinander nicht auskommen können.
Und es gibt mit Pozzo und Lucky zwei weitere Vagabunden, die zweimal das "lauschige Plätzchen" an der Landstraße queren. An diesen beiden Männern manifestiert sich das Dilemma menschlichen Überlegenheitsstrebens. Sie verkörpern das ultimative Herr-Knecht-Verhältnis. Treibt doch Pozzo, den der in Österreich vorwiegend aus Fernsehfilmen bekannte Stefan Jürgens als teuflischen Dompteur spielt, seinen Begleiter mit der Peitsche und am Strick vor sich her. Der junge Schauspieler Nico Dorigatti legt in der Rolle dieses geknechteten Lucky eine bemerkenswerte "Denkübung" hin, so perfide und rätselhaft, dass allen angst und bang wird und sie das Denken schnell wieder abstellen.
(Der Standard)
Altmeister Claus Peymann hat dieses Stück – längst ein moderner Klassiker – fast zärtlich inszeniert, als langsame, traurige Clownerie. Gespielt wird ausgezeichnet. Bernhard Schir ist ein tief trauriger Wladimir, Marcus Bluhm ein verzweifelter Estragon. Stefan Jürgens macht als Pozzo einen guten Eindruck. Eine Talentprobe legt der junge Schauspieler Nico Dorigatti ab: Für seinen Redeschwall bekommt er Szenenapplaus.
(KURIER)
Claus Peymann hat sein erstes Beckett-Stück inszeniert: "Warten auf Godot" wurde zum großen Erfolg. Auch weil Peymann den Slapstick, den Zirkus und das Kabarett nicht scheut. So lässt er Bernhard Schir als Wladimir seinen Hut zurechtrücken wie einst Oliver Hardy und Marcus Bluhm als Estragon sich am Kopf kratzen wie einst Stan Laurel. Und das passt? Ja. Und das ist nicht zu blöd? Nein. In die Tiefe von "Warten auf Godot" kommt man nur, wenn man das Seichte nicht scheut.
Und nun zum Spiel im Spiel, zu Pozzo und Lucky. Auch ihnen verleiht Peymann etwas Zirzensisches: Der Herrscher Pozzo ist ein robuster Zirkusdirektor, ganz in Rot, sein Diener Lucky der zerbrechlichste, ja: ätherischste Weißclown, den man je gesehen hat. Fast durchsichtig. Nico Dorigatti spielt ihn als unheimliches Geistwesen. Die Passage, in der er auf Geheiß laut denkt, ist zum Zerreißen intensiv. Dem Pozzo Stefan Jürgens nimmt man beinahe ab, dass er aus ganzem Herzen an Luckys Stelle weint und diesen dafür breit lächeln lässt. Doch dabei bleibt er, hohe Kunst!, der grausame Leiter dieses Herr- und Knecht-Spiels. Bernhard Schir und Marcus Bluhm, nach der Premiere zu Recht ausdauernd bejubelt, sind so clownesk wie nötig und so menschlich wie möglich.
(Die Presse)
Peymann hat die richtigen Schauspieler in Bernhard Schir und Marcus Bluhm als Wladimir und Estragon. Schön, wie nuanciert sie zwischen Körperkomik und Dialog ihre Figuren zeichnen. Zwei fadenscheinige Weißclowns sind diese beiden, der eine rastlos, der andere apathisch. Den einen drücken Glaubens- und Existenzfragen, den anderen nur seine Schuhe und der Hunger. Stefan Jürgens legt als schauerlich komischer Sklaventreiber in Zirkusdirektorenrot (Kostüme: Su Bühler) eine tolle Show aufs Parkett. Nico Dorigatti gönnt Peymann in seiner kalkweißen Leidensfigur ein glanzvoll absolviertes Bravourstück zwischen Resignation und Aufbegehren.
(Kleine Zeitung)
Bernhard Schir als Wladimir und Marcus Bluhm als Estragon spielen großartig gegeneinander im Miteinander. Ihre Kurzzeit-Gegenspieler, das Duo Pozzo (Stefan Jürgens) und Lucky (Nico Dorigatti) sind genauso überzeugend absurd.
(Falter)
Programm und Besetzung
Regie: Claus Peymann
Bühnenbild: Paul Lerchbaumer
Kostüme: Su Bühler
Dramaturgie: Jutta Ferbers
Licht: Ulrich Eh
Wladimir: Bernhard Schir
Estragon: Marcus Bluhm
Lucky: Nico Dorigatti
Pozzo: Stefan Jürgens
Theater in der Josefstadt
Das Theater in der Josefstadt ist ein Theater in Wien im achten Bezirk Josefstadt. Es wurde 1788 gegründet und ist das älteste noch Theater in Wien. Es wird oft umgangssprachlich als einfach die Josefstadt bezeichnet.
Nach dem Umbau und Wiederaufbau im Jahre 1822 - gefeiert durch die Aufführung der Ouvertüre Die Weihe des Hauses von Beethoven - Oper wurde dort mit Meyerbeer und Wagner inszeniert. Ab 1858 gab das Theater die Oper auf und konzentrierte sich stattdessen auf Gerade Theater und Komödie.